Von La Línea nach Graciosa
Wir segeln unsere erste grössere Passage zu den Kanarische Inseln.
Schon bei der Hafeneinfahrt in ‘La Línea de la Concepción’ werden wir von mehreren Boat-Hitchhikern begrüsst, sie helfen uns beim Festmachen bei der Tankstelle. Auch als wir an unserem Platz in der Marina festgemacht haben, werden wir von jungen Menschen besucht, die eine Mitfahrgelegenheit in die Karibik - oder zumindest bis zu den Kanarischen Inseln suchen. Wir lehnen dankend ab, hatten wir doch erst gerade Besuch und erwarten auf Lanzarote Stefan, der mit uns über den Atlantik segeln wird.
‘La Línea de la Concepción’ grenzt direkt an Gibraltar, der Affenberg ist gut sichtbar und die Marina ist quasi anschliessend an die Rollbahn des Flughafens von Gibraltar gebaut. Diese Rollbahn darf man auch überqueren, um nach Gibraltar zu kommen. Dies natürlich nur, wenn das Lichtsignal grün anzeigt und gerade kein Flugzeug startet oder landet. Wir besuchen den Spilpi und Markt in La Línea und tauschen uns immer wieder mit den jungen Menschen aus, die in ihrem Camp ausserhalb der Marina hausen und Leute aus dem Hafen ansprechen, um auf einem Boot unterzukommen. Wir besuchen Gibraltar und decken uns in der Chandlery mit allerlei Nützlichem ein. Danach muss ein Pub-Besuch sein und am nächsten Tag machen sich Andrea und die Kinder wieder auf den Weg nach Gibraltar – zum Ohrlöchlistechen für die Mädchen in ein Piercing-Studio. Mutig halten sie ihre Ohren bei Gorge hin und sind stolz, als sie es überstanden haben.
Wir füllen unsere Vorräte auf uns machen uns mental bereit für die Überfahrt nach Graciosa. Silvio bereitet Mirabella für unsere erste Passage von 4 Tagen und Nächten vor. Er nimmt einen Rigg-Check vor und tauscht ein Fall mit einem Mantelschaden aus.
Ein grosses Thema unter den Seglern sind die Orkas, die vor der Strasse von Gibraltar bis weit in die Nordsee seit einigen Jahren Segelschhiffe angreifen. Es sind Gruppen (Pods) von jugendlichen Männchen, die sich offenbar dieses Verhalten angeeignet haben. Noch vor einem Monat haben wir das Thema nicht sehr ernst genommen, nun sprechen alle über ihre Strategie und Equipment für eine allfällige Begegnung mit den Tieren. Wir haben in Cartagena sogar eine Holländische Familie getroffen, die extra ihr Boot in Nordspanien aus dem Wasser auf den Trailer und quer durch Spanien verfrachtet hat, nur um nicht bei den Orkas vorbeisegeln zu müssen. Es ist dann auch am 1. November, dem Tag unserer Abfahrt, ein Segelschiff nach einem Orka-Angriff vor Portugal gesunken. Wir passen unsere Route durchh die Strasse von Gibraltar an und steuern direkt südlich an die marrokanische Küste. Wir nehmen eine Petflasche mit Diesel ins Gepäck, auch wenn wir diese nicht verwenden wollen würden. Auf die ‘Whale-Pinger’, welche uns ein Deutscher verkaufen will verzichten wir dankend, wollen wir nicht noch zusätzlichen Lärm im Meer verursachen.
Die jungen deutschen Frauen Nati und Laura, ebenfalls Boots-Hitchhikerinnen, drücken uns ihren Flyer in die Hände. Zuerst lehnen wir wiederum ab, dann laden wir sie doch auf einen Kaffee und schliesslich fürs Znacht ein. Es kann ja nicht schaden, Unterstützung für die Nachtwachen, fürs Kochen und Kinderhüten zu haben. Wir entscheiden uns, die zwei mit nach Graciosa zu nehmen. Sie kaufen für uns im Carrefour ein, was uns entlastet. Am Abend vor unserer Abfahrt beziehen die beiden unsere Gästekabine und gehören nun zur Crew von Mirabella.
Es sieht so aus, als wären wir bereit — oder so bereit, wie man eben sein kann.
Wir machen uns am 1. November früh auf den Weg aus dem Hafen an die Tankstelle von Gibraltar um preiswerten Diesel zu tanken. Die Tankstelle macht erst um 9 Uhr auf und so essen wir unser Früstück an der Tanke. Dann gehts los! Zwischen den Tankern hindurch machen wir uns unter Motor bei wenig Wind auf den Weg in Richtung Süden. Direkt quer zum Fahrwasser der grossen Frachtschiffe an die marokkanische Küste. Der marokkanischen Nordküste entlang ziehen wir gegen Westen mit beachtlicher Strömung gegen uns. Bis zum Eindunkeln am Abend erreichen wir ‘Cap Espartel’ westlich von Tanger, wo wir endlich mit genug Wind Segel setzen können.
Orkas haben wir glücklicherweise keine gesehen, dafür einige Fischerboote ohne AIS, die dann während der ersten Nacht noch in Küstennähe von Marokko plötzlich zu hauf dem Radar auftauchen. Netze sehen wir auch immer wieder, einige mit Lichtern, einige ohne. Silvio und Andrea teilen sich die Nächte wie bisher auf: Silvio schiebt Wache bis ca. 1 Uhr und Andrea bis in die Morgenstunden.
Laura und Nati leben sich auf dem Boot ein, haben schon einige Kinderbücher vorgelesen und Spiele gespielt.
Zwischendurch haben wir nochmals weniger Wind, doch dann bläst er dann immer beständiger etwas stärker und so wechseln wir vom ‘Code 0’ zur Normalbesegelung. Am zweiten Tag erreicht uns der Swell aus Nordwesten, der uns weit draussen nur etwas durchschaukelt. Wenn er an der Küste Marokkos brausend bricht wird er die Surfer erfreuen. Eindrückliche Wellen!
Der Mond begleitet uns durch die Nächte. Durch Tag und Nacht sausen wir mit nordöstlichem Wind im Rücken über Swell und Windwellen und segeln mal nur mit Grosssegel, mal im Schmetterling, immer gut gesichert mit Spibaum und Preventer-Leine. So können auch unsere Boot-Tramperinnen mal ans Steuer. Die beiden Kochen und spielen mit den Kindern, was Joséphine und Chloé sehr freut. Muffins backen ist auch angesagt – welch leckere Abwechslung! Immer wieder passiert es über die Tage, dass wir die selben Segelschiffe wieder auf dem AIS entdecken und zum Teil recht nahe segeln.
Am Morgen des 5. Novembers erblicken wir ‘Isla de Alegranza’ die mit ihrem hohen Vulkan schon von weit her sichtbar ist. Und dann sehen wir Graciosa im Norden von Lanzarote, wo wir vor knapp 7 Jahren mit dem Zelt in den Dünen gecampt haben. Haben wir uns doch damals gesagt, dass wir da mit dem Segelboot hinwollen, here we are!
Wir gehen direkt in die Ankerbucht von ‘Playa Francesa’, wo schon viele Boote am Anker liegen. Der Anker hält und wir machen uns mit den Kindern und unserem Besuch zum Abschiedsapéro an den Strand und auf die Dünen.
Toll, waren Nati und Laura dabei, auch wenn sie mit Seekrankheit zu kämpfen hatten und wohl erst unterwegs realisiert haben, dass es ganz schön anstrengend sein kann, rund um die Uhr zwei kleine Kinder und ein Schiff zu betreuen.
Wir haben unsere erste längere Passage gemeistert und wissen - nicht nur theoretisch, sondern nun auch aus Erfahrung, dass wir mit Mirabella zusammen eine gute Crew sind. Nun kann kommen was wolle, wir sind bereit!
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